Nordkorea und die Atombombe

Am 12.02.2013 gab Nordkorea bekannt, einen dritten Atomwaffentest durchgeführt zu haben. In der Vergangenheit wurde ich immer wieder gefragt, wie ich die Sache denn sehen würde. Dazu muss ich etwas weiter ausholen:

Es war wahrscheinlich in der 9. Klasse, als wir im Deutsch-Unterricht »Die Physiker« von Friedrich Dürrenmatt durchnahmen. Als im Text Korea erwähnt wurde, meinte mein Deutschlehrer, »Wir haben doch einen Koreaner in der Klasse!« und fragte mich, warum denn Korea im Buch eine Rolle spiele.

Das Stück entstand unter dem Eindruck des Kalten Krieges und dem atomaren Wettrüsten, vor allem zwischen den USA und der UdSSR. Geprägt wurde das Wettrüsten durch ein »Gleichgewicht des Schreckens«:

Es »bezeichnet eine Situation, in der eine Nuklearmacht vom Ersteinsatz von Nuklearwaffen dadurch abgehalten wird, dass der Angegriffene selbst nach einem nuklearen Erstschlag noch vernichtend zurückschlagen könnte.«

Auch Korea stand einmal kurz davor, mit Atombomben angegriffen zu werden. Genauer gesagt Nordkorea und seine Unterstützer während des Koreakrieges.
Dazu zwei Zitate:
Zitat 1:

„Der amerikanische Oberbefehlshaber, General MacArthur, forderte öffentlich eine Ausweitung des Krieges nach China und den Einsatz von Atombomben gegen das Land und wurde dafür von Präsident Truman entlassen.“

Quelle: Tod am 38. Breitengrad, FAZ Online, 25.06.2010

Zitat 2:

Fragte Interviewer Kupcinet: »Hat man Sie eigentlich gedrängt, im Koreakonflikt eine Atombombe einzusetzen?«

Polterte Truman zurück: »Gewiss, MacArthur wollte Atombomben abwerfen.«

Kupcinet: »MacArthur wollte es?«

Truman: »Ja, er wollte China und das östliche Russland und alles andere mit Atombomben belegen.«

Vergewisserte sich Kupcinet abermals: »Er wollte die Atombomben einsetzen?«

Truman: »Aber natürlich, das war doch die einzige Waffe, die wir damals besassen und die sie (die östlichen Gegner) anerkannten.«

Quelle: Sibirien bombardieren, Der Spiegel 2/1961

Ob MacArthur wirklich Atombomben einsetzen wollte (»In seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss des Senats sagte er, ihren Einsatz nie empfohlen zu haben.«) ist allerdings irrelevant. Von Bedeutung ist, was bei den Nordkoreanern hängengeblieben ist:

    1. Die USA wollten uns schon früher mit Atombomben angreifen.
    2. Die USA sind das einzige Land der Welt und der Geschichte, das auch tatsächlich jemals Atombomben eingesetzt hat.
    3. Eine Nuklearmacht kann nur vom Ersteinsatz von Nuklearwaffen abgehalten werden, wenn wir selbst auch mit nuklearen Waffen zurückschlagen können (»Gleichgewicht des Schreckens«).
    4. Der Koreakrieg wurde nie mit einem Friedensvertrag beendet, sondern nur mit einem Waffenstillstandsabkommen. Damit sind wir de facto noch immer im Kriegszustand.
    5. In Südkorea sind nach wie vor über 28.000 US-Soldaten stationiert.

Dass Dürrenmatt Korea in seinem Stück erwähnte, war und ist für mich ein Beleg dafür, wie groß und wie real weltweit die (gefühlte) Angst vor einem nuklearen Angriff der USA auf Nordkorea während des Koreakrieges gewesen sein musste.

»Und noch weniger bekannt ist, dass die USA auch noch nach dem Koreakrieg in Nordostasien auf ihre überlegene Luftwaffe und auf Nuklearwaffen setzten. Damit haben sie die politischen Optionen Nordkoreas definiert und die nationale Sicherheitsstrategie Pjöngjangs beeinflusst.«

Quelle: Napalm über Nordkorea, Le Monde diplomatique online, 10.12.2004

Die (leider) logische Konsequenz für Nordkorea aus den oben genannten Punkten ist (wenn man in den Kategorien des Kalten Krieges denkt), selbst zur Nuklearmacht aufzusteigen, um die USA (und jeden anderen) vor einem nuklearen Angriff abzuschrecken. Während meine Generation sich das heute gar nicht mehr vorstellen kann, irgendjemand mit gesundem Menschenverstand könnte überhaupt in Betracht ziehen, ein anderes Land mit einer Atombombe anzugreifen (nur »Verrückte« würden das doch tun), wird in Nordkorea die Angst vor einem fremden Nuklearangriff am Leben gehalten. Und schwer ist das auch nicht:

Die jährlichen Kriegsmanöver der USA und Südkorea vor der (nord)koreanischen Küste, die über 28.000 in Südkorea stationierten US-Soldaten, die verschiedenen Wirtschaftsembargos und die Tatsache, dass die USA, namentlich Barack Obama, nach wie vor das Oberkommando über die südkoreanischen Truppen in Kriegszeiten innehalten (und wie gesagt, de facto befinden sich Nord- und Südkorea immer noch im Krieg), sind überzeugende Argumente dafür, dass Nordkorea immer noch bedroht wird.

Auch das Trauma der Kolonialzeit und das Traum der Teilung sind für Korea noch lange nicht bewältigt und spielen nach wie vor eine Rolle. Aber darauf werde ich hier nicht mehr ausführlich eingehen. Nur so viel: Die Art, wie gerade die USA die Koreaner im Allgemeinen und die Nordkoreaner im Speziellen behandeln, deutet schon darauf hin, dass die USA die Koreaner nicht als gleichwertige Menschen betrachten (haben).

»Sofort wurden die Koreaner auf die drei kleinen Wörter «in due course» aufmerksam und konnten nicht verstehen, warum Korea nach dem Kriegsende nicht sofort unabhängig werden sollte. Massgeblich für die Formulierung war der amerikanische Präsident Roosevelt, der von der Idee beseelt war, die asiatischen Länder müssten erst noch erzogen werden.«

Quelle: Die Chance, die es nicht geben durfte, NZZ online, 20.09.2003

Asiatische Länder müssten erst noch von den USA erzogen werden!
Und wie ein kleines Kind wird Nordkorea nach wie vor behandelt.
Wie einem kleinen Kind soll Nordkorea der Hintern versohlt werden.
Und wie ein kleines, trotziges Kind benimmt sich dann auch Nordkorea.

Auf die Frage, wie wir den Konflikt mit Nordkorea lösen, stelle ich die Gegenfrage:
Wie haben wir, der Westen, den kommunistischen Osten, sprich, die UdSSR, die DDR und die anderen Ostblockstaaten »bezwungen«?
In dem wir jährlich Kriegsmanöver vor der sibirischen Küste abgehalten haben?
In dem wir den Osten isoliert und boykottiert haben?

Die Veränderungen im Osten waren auch möglich, weil die Menschen dort sehen konnten, wie frei die Menschen im Westen leben im Vergleich zu ihnen selbst. Diese Möglichkeit haben Nordkoreaner nicht, so dass es für die nordkoreanische Staatsführung ein leichtes ist zu behaupten, den Nordkoreanern ginge es doch gut. Und Embargos und Kriegsmanöver belegen wunderbar die Bedrohung durch die USA.

Ein Friedensvertrag, der den Koreakrieg auch de facto beendet, wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Ein weltweites Abrüsten und Ächten von Nuklearwaffen und damit ein deutliches Abrücken von der Ideologie des Kalten Krieges wären ebenfalls hilfreich.
Eine Lockerung der Grenzen wäre auch dringend erforderlich (noch dürfen Südkoreaner ohne offizielle Genehmigung der südkoreanischen Regierung nicht nach Nordkorea reisen; private Kontakte nach Nordkorea sind verboten!).
An Verhandlungen und Begegnungen auf Augenhöhe will ich hier noch gar nicht denken.

Allerdings: 65 Jahre auferzwungene Teilung, der bis jetzt anhaltende Kalte Krieg mit Nordkorea sowie der Koreakrieg haben offene Wunden und tiefe Narben hinterlassen. Es wäre naiv anzunehmen, eine Änderung Nordkoreas von heute auf morgen wäre allein durch das Ende der Kim-Dynastie möglich. Das westlich orientierte Südkorea hatte fast 40 Jahre (Militär)Diktatur hinter sich, ehe das Volk sich die Demokratie erstritt (ohne die USA, deren Soldaten während der Diktaturen nur zugesehen haben).
Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Veröffentlicht von Daniel Sanghoon

Hi, ich bin Daniel Sanghoon Lee. Hier schreibe ich auf, was mich als Koreaner der zweiten Generation beschäftigt. Die Kommentarfunktion ist bis auf weiteres abgeschaltet (Stichwort DSGVO).

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