Germans unite?

Der Anlass war schlimm: ein Massaker in Neuseeland an 50 Muslime durch einen weißen Terroristen.

Was danach folgte, war das herausragende Beispiel eines Landes, mit einer solchen Tragödie umzugehen. An der Spitze die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern, die eine bemerkenswerte Empathie für die Hinterbliebenen der Opfer zeigt, die Muslime ihres Landes als Teil ihres Landes einbindet und gleichzeitig rigoros die Waffengesetze verschärft.

Und Menschen, die aus Solidarität mit den Hinterbliebenen ein Kopftuch überziehen, gemeinsam einen Haka (traditionellen Maori-Tanz) tanzen und als Neuseeländer zusammenstehen. Schöne Bilder, die wir zurzeit im Fernsehen oder in den Social Media sehen.

Schöne Bilder.

Am Ende kommt ein Bild mit einem Zettel, auf dem steht „Kiwis unite“, also sinngemäß „Kiwis (Neuseeländer) halten zusammen“.

Ich bin neidisch und traurig zugleich, denn das ist ein Bild, das wir in Deutschland leider nicht sehen werden. Möglicherweise niemals.

Denn wenn ich „Kiwis“ mit „Germans“ bzw. „Deutsche“ austausche, bekommt der Satz plötzlich einen ganz anderen Ton. Wenn wir in Deutschland sagen oder hören „Wir Deutsche…“, vielleicht noch mit einer Spur von Stolz, dann klingt das in unseren Ohren sofort nationalistisch.

Wenn es heißt, „Deutsche halten zusammen“, dann weiß ich auch, ich bin nicht gemeint.

Menschen wie ich sind inzwischen gewohnt, dass wir immer von „den Deutschen“ und „den Migranten“ sprechen. Mit dem Wort „Deutsche“ werden Menschen wie ich in der Regel ausgeschlossen.

Mein Vater regt sich noch heute darüber auf, dass der Eurosport-Kommentator den Mainzer Levin Öztunali als Gastarbeiterkind bezeichnet habe, als er vor ein paar Tagen im Testspiel der deutschen U21-Fußballnationalmannschaft der Herren gegen Frankreich das 1:0 schoss. Warum sind Menschen wie er immer noch „Gastarbeiterkinder“? Warum wird diese Bezeichnung immer noch verwendet? Dient der Begriff zu verstehen, warum Öztunali ein guter Fußballer ist?

Nein. Diese Bezeichnung dient einzig allein zu erklären, warum dieser Fußballer „Öztunali“ heißt und nicht wie ein „Müller“ aussieht. Weil „Deutsche“ in unserer Vorstellung nunmal ganz anders aussehen und ganz anders heißen.

Es ist immer noch nicht normal, dass Menschen wie Levin Öztunali auch ganz normale Deutsche sind wie ein Thomas Müller oder ein Horst Seehofer.

Eindeutig dagegen das Bekenntnis von Jacinda Ardern zu den muslimischen Opfern direkt nach dem Massaker:

„They have chosen to make New Zealand their home. It is their home. They are us.

‘This is New Zealand’s darkest day’: Prime Minister Jacinda Ardern responds to Christchurch attacks, www.news.com.au, 18.03.2019

They are us. Sie sind wir.

Ein klares Bekenntnis, auf das wir hierzulande wohl noch länger warten müssen.

Wir „Migranten“ sind nach über 60 Jahren jüngerer Migrationsgeschichte noch immer keine „Deutschen“, da wir nicht dasselbe Blut teilen, weil wir von woanders herkommen (selbst wenn wir hier geboren sind), weil wir Schlitzaugen oder eine dunkle Hautfarbe besitzen.

Menschen wie ich stellen fest, dass sich die Mehrheit in Deutschland immer noch dagegen sträubt, ein Einwanderungsland zu sein. Würden wir alle verstehen, was das bedeutet, würden wir anfangen zu diskutieren, wer wir Deutsche in Zukunft sein wollen. Denn wie soll „Integration“ in meinem Fall als Asiatisch-Deutscher aussehen, wenn allein mein Aussehen darüber entscheidet, dass ich von anderen (nicht) als Deutscher identifiziert werde? Wenn mein Deutschsein immer noch vom Aussehen abhängt und das Aussehen in diesem Fall eine Frage der Rassenzugehörigkeit ist?

Sprachkenntnisse, Religion, Werte, Bildung, Beruf – all das spielt am Ende keine Rolle, wenn es darum geht, ein Deutscher zu sein. Deswegen ja auch immer die Frage:
„Woher kommst du denn wirklich her?“

„Wir brauchen ein neues Narrativ. Eins, dass auch uns [neue Deutsche] mitnimmt und einschließt.“

Ferda Ataman: Hört auf zu fragen. Ich bin von hier!, S. 39, Ergänzung in Klammern von mir

Deutschland ist ein Einwanderungsland.

Es geht nicht mehr darum, ob wir das wollen oder nicht.

Es ist bereits geschehen.

Darum geht es auch nicht mehr um die Frage, wer wir mal waren, sondern darum, wer wir in Zukunft sein wollen.

P.S.

Deutschland ist auch ein wiedervereinigtes Land.

Auch hier gilt das Gleiche: Die Frage darf nicht sein, wie die „Ostdeutschen“ am Schnellsten zu „Westdeutschen“ werden, sondern, wie wir alle zu neuen Gesamtdeutschen werden. Auch das ist etwas, was manche erst so langsam begreifen.

Veröffentlicht von Daniel Sanghoon

Hi, ich bin Daniel Sanghoon Lee. Hier schreibe ich auf, was mich als Koreaner der zweiten Generation beschäftigt. Die Kommentarfunktion ist bis auf weiteres abgeschaltet (Stichwort DSGVO).

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