Mit Plakaten gegen Diskriminierung?

Vor zwei Wochen hat der Verein „Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e.V.“ in Berlin eine neue Plakatkampagne gestartet. Auf diesen Plakaten zeigen Prominente ihr Gesicht gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Auch wenn die Kampagne anlässlich des internationalen UN-Tags gegen Rassismus zu sehen ist, richtet sich die Kampagne nicht nur gegen Rassismus, sondern allgemein gegen Diskriminierung.

Die Reaktionen auf Facebook auf diese Kampagne sind durchaus unterschiedlich. Viele finden die Kampagne gut. Genauso viele fühlen sich bevormundet oder machen sich über die gezeigten Gesichter lustig.

Bei mir hinterlässt die Kampagne aus verschiedenen Gründen einen faden Beigeschmack. Die Kampagne ist mit Sicherheit gut gemeint, aber ich frage mich, welches Ziel die Kampagne eigentlich erreichen will.

Die Kampagne richtet sich gegen Diskriminierung (was ja grundsätzlich gut ist).
Hilft sie aber auch, Diskriminierung zu verringern?
Regt sie zum Nach- und Umdenken an?
Hilft sie, die eigene Einstellung zu überprüfen?
Hilft sie, die Akzeptanz für „bunte“ Menschen zu erhöhen?
Ist das alles überhaupt mit der Aktion beabsichtigt?

Bei meinen Fragen denke ich vor allem an die Menschen, die von sich meinen, sie würden keine anderen Menschen diskriminieren, da sie ja schon offen und aufgeklärt seien.

Und ich selbst?

Wenn ich da an mich denke: Wie offen ich tatsächlich bin, merke ich persönlich erst, wenn ich tatsächlich in einer mir vollkommen neuen, unbekannten Situation bin. Erst dann wird sich zeigen, wie sehr ich in meinem bisherigen Denken feststecke und wie offen ich für neue Ansichten, Gedanken, Handlungen, Normen und Werte wirklich bin. Ich bin mir dessen durchaus bewusst.

Und manchmal muss ich mir eingestehen, dass ich mich nicht wohl fühle in meiner Haut, dass ich mich an neue Menschen oder Situationen erst gewöhnen muss und ich mich in manchen Fällen frage, ob ich mich überhaupt an die neue Situation gewöhnen muss und sollte.

In der Regel machen wir als Erwachsene die Erfahrung, dass wir über ein funktionierendes Werte- und Handlungssystem verfügen. Und solange wir uns auch in dem uns bekannten Rahmen aufhalten, passt alles und ist auch alles in Ordnung. Sobald wir mit Menschen, Situationen oder Dingen zu tun haben, die nicht zu unserem tagtäglichen Umgang gehören, werden wir auf die Probe gestellt.

Wenn wir genügend gemeinsame Schnittstellen mit neuen Menschen, Kulturen, Situationen oder Dingen besitzen und erkennen, erleichtert sie die Akzeptanz des Neuen. Wenn wir der Meinung sind, dass keine Schnittstellen vorhanden sind, oder wir diese Schnittstellen einfach nicht sehen, weil wir gelernt haben, auf die Hautfarbe, die Brüsten (wir Männer) oder den Rollstuhl zu achten (Stichwort: selektive Wahrnehmung), entstehen Grenzen und Gräben, die wir überbrücken müssen.

Allerdings hinterfragen wir uns in diesem Moment selten selbst, sondern erwarten, dass diese Brücken von den „Anderen“ angeboten werden müssen. Weil, wir sind ja „normal“, d.h. wir müssen uns ja nicht ändern. Mein Gegenüber ist in der Pflicht, sich dem „Normalzustand“ anzupassen.

Was heißt das für die Kampagne?

Große öffentliche Kampagnen wie die es Vereins „Gesicht Zeigen!“ sollten meiner Ansicht nach genau hier ansetzen. Zeigen, dass Muslime, Schwule, Juden, „Migranten“, Türken und Schwarze nicht nur normale Menschen, sondern ganz normale Deutsche sind (wie immer das auch darstellbar wäre – hat wer Ideen?). Denn wer mir sagt „Daniel, man sieht doch, dass Du kein Deutscher bist“, meint, dass ein „Deutscher“ ein weißer Mitteleuropäer und kein Asiate sei. Wenn ich ein normaler Teil dieses Landes, dieser Gesellschaft, wenn ich also integriert sein soll, dann kann das Ziel aber nur lauten, dass auch ich ein Deutscher werde und bin und als ein solcher auch angesehen und akzeptiert werde.

Doch wer nur auf mein Äußeres fixiert ist, sieht nicht die bereits vorhandenen Brücken, die uns verbinden (ja, ich bin in vieler Hinsicht ein ganz normaler Deutscher!), sondern nur die Gräben, die uns unterscheiden (ja, ich bin manchmal auch Koreaner!).

Entsteht ein Bewusstsein für die Brücken zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den „Anderen“, wenn ich die Plakate sehe?
Wird klar, dass es keine „Rassen“ gibt?
Wird klar, dass auch Muslime, Homosexuelle, Juden, „Migranten“, Türken und Schwarze ganz normale Deutsche sind?
Fällt die Identifikation mit den Muslimen, Homosexuellen, Juden, „Migranten“, Türken und Schwarzen leichter, wenn ich die Gesichter weißer Prominenter sehe?

Erwarte ich einfach zuviel von so einer Plakatkampagne?

Unabhängig von der guten Absicht der Kampagne dürfen wir nicht vergessen, dass diese Plakate mit den teils verqueren Bildern konkurrieren, die die deutschen Medien tagtäglich verbreiten. Kann die Kampagne dieser medialen Flut standhalten?

Und, wenn ich schon Zweifel habe, ob die Kampagne etwas bei der deutschen Mehrheitsgesellschaft bewirkt, spricht die Kampagne wenigstens mich persönlich an?
Nicht wirklich.

Ich ertappe mich dabei, wie ich denke:
„Ihr Weißen habt gut reden. Selbst wenn ihr sagt, ›Ich bin Migrant‹ müsst ihr dennoch nicht alltäglich das ertragen, was wir ertragen müssen (der eine mehr, der andere weniger).
Ihr müsst aufgrund eures Aussehens nicht damit rechnen, ausgegrenzt, als anders und damit als nicht normal definiert zu werden.
Ihr müsst euch nicht anstrengen, als Deutsche anerkannt zu werden, während ich allein aufgrund meines Aussehens in der Bringschuld bin.
Ich muss ständig beweisen, dass ich integriert bin. Und dennoch reicht ein Blick in mein Gesicht, dass eure Zweifel bleiben.
Ihr definiert, was ›normal‹ ist. Ich habe mich dem anzupassen.
Wenn ich meine Freiheiten ausleben will, heißt es, ich bin integrationsunwillig.“

„Don’t complain. Make things better.“

sagte Tina Roth Eisenberg in ihrer Keynote auf dem SXSW2013.
Recht hat sie.

Was hätte ich an dieser Kampagne anders gemacht?
Ich hätte neben jedem prominenten Gesicht noch ein anderes Gesicht dazu gestellt. Ein muslimisches, ein schwules, ein jüdisches, ein „migrantisches“, ein türkisches und ein schwarzes Gesicht. Und natürlich würden wir uns bei einigen Gesichtern fragen, „was ist daran muslimisch, der/die sieht doch ganz normal aus“.
Als Slogan hätte ich mir dann gewünscht:
„Wir sind Muslime.
Und wir sind Deutsche.“

Also nicht nur die Gräben zeigen, sondern die Brücken.
Generell sollte das, was dargestellt wird, emotional positiv wahrgenommen werden. Kein erhobener Zeigefinger, als wolle man den Betrachter oder die Betrachterin erziehen. Insofern weiß ich gar nicht, ob so eine Gesichter-Kampagne überhaupt das Gelbe vom Ei ist.

Vielleicht hätte der Verein statt den prominenten Gesichtern einfach eine Kopfsilhouette nehmen sollen, deren Fläche mit einem Spiegel gefüllt wäre. Der Betrachter sieht sich selbst mit dem Slogan „Ich bin schwul“, „Ich bin schwarz“, „Ich bin Türke“, etc. und wird so vielleicht eher zum Nachdenken angeregt. Wäre als Plakatkampagne aber wohl schwierig umzusetzen. Aber als Installation an ausgewählten Orten?

Wie könnten wir (eine) bessere Kampagne(n) gestalten?
Ihr seht, ich arbeite noch daran.

Vielleicht habt ihr ja noch Ideen?

Veröffentlicht von Daniel Sanghoon

Hi, ich bin Daniel Sanghoon Lee. Hier schreibe ich auf, was mich als Koreaner der zweiten Generation beschäftigt. Die Kommentarfunktion ist bis auf weiteres abgeschaltet (Stichwort DSGVO).