Ein Wort zur Willkommenskultur

Ich hatte bereits das Gefühl, ein Deutscher zu sein.
Dieses Gefühl kommt mir langsam abhanden. Unter anderem, weil so gut gemeinte Aktionen wie die Schaffung einer »Willkommenskultur« mich von nun an daran erinnern, dass ich doch kein »richtiger« Deutscher bin.

Als guter Deutscher tat ich damals, was viele meiner Altersgenossen taten: Ich trat meinen Wehrdienst an. Ziel meiner Reise war Langenhagen bei Hannover, damals noch kurz vor der innerdeutschen Grenze. Das Flugabwehrregiment 1 hatte den Auftrag, den Flughafen bei Hannover zu verteidigen.
Mein Vater sagte damals nicht viel, aber ich spürte den Stolz eines Vaters, dessen Sohn im Begriff war, etwas äußerst Männliches zu tun. Dass ich als Koreaner meinen Wehrdienst für Deutschland ableisten sollte, war für ihn kein Problem. Schließlich hatten wir alle unsere Pflichten gegenüber dem Staat zu erfüllen.

bundeswehr

Ich bei der Bundeswehr

Auf dem Weg zur Kaserne sammelten sich die Wehrpflichtigen und beschnupperten sich neugierg. Ein junger blonder Bursche erzählte stolz von seiner kürzlichen Einbürgerung und freute sich, endlich Teil der Bundesrepublik zu sein. Ich lächelte und dachte daran, dass ich ihm in dieser Hinsicht einiges voraus hatte, war ich doch schließlich hier geboren.
Gleich bei Ankunft in der Kaserne mussten wir neuen Rekruten erst einmal einen Fragebogen ausfüllen. Darunter auch die Frage, ob wir früher mal eine andere Staatsangehörigkeit besessen hätten. Ich dachte an den blonden Jungen, wie er natürlich Polen angeben würde. Dann stutzte ich: Was war eigentlich mit mir? Vom Verständnis her war ich natürlich auch Koreaner. Aber war ich auch mal koreanischer Staatsbürger? Ich wurde rot im Gesicht, weil es mir peinlichkeit war, etwas derart existenzielles über mich nicht zu wissen.
Ich überlegte.
Eine Minute.
Zwei Minuten.
Die ersten gaben den Fragebogen bereits ab.
Ich konnte mich nicht erinnern. Also kreuzte ich einfach ein Nein an.
Wochen später fiel mir siedenheiß ein: Doch, na klar, wir wurden natürlich eingebürgert; ich war damals etwas 10 Jahre alt! Wie zum Henker konnte ich das nur vergessen?
Dieses Ereignis war mir damals so hochpeinlich, dass ich beschloss, nichts zu sagen und mir nichts anmerken zu lassen. Hoffentlich pochte die Bundeswehr nicht auf einen Herkunftsnachweis!
Heute weiß ich, dass meine frühere Staatsangehörigkeit damals wohl keine Sau interessiert hat. Ich war ein Wehrpflichter unter vielen. Nicht mehr, nicht weniger.

Mein Hauptmann hielt mich eines Tages im Flur an und fragte mich, ob ich mich beim Bund wohl fühlen würde. Zuerst dachte ich ’nett von ihm, sich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen‘. Erst sein Nachbohren machte mir bewusst, was er wirklich wissen wollte: Ob ich aufgrund meines Aussehens, meiner Herkunft irgendwelche Probleme hätte.
Wow. Ich war gleichermaßen irritiert als auch in gewisser Weise gerührt. Irritiert, weil ich tatsächlich zu keiner Zeit in irgendeiner Weise das Gefühl hatte, dort ein Ausländer oder Außenseiter zu sein (bis auf einen Moment am ersten Abend, wo mich jemand bedauert hatte, dass selbst jemand wie ich zum Bund müsse, das aber auf eine so charmante Art, dass ich darüber lächeln musste).
Berührt, weil ich niemals gedacht hatte, dass unser Batteriechef (bei der Heeresflugabwehr hießen die Abteilungen nicht Kompanie, sondern Batterie) sich Gedanken über die einzelnen Soldaten machen würde. So viel Fürsorge bei der Bundeswehr.

Warum ich in letzter Zeit immer wieder an diese Episode erinnert werde: Damals war ich geistig und emotional voll in Deutschland verwurzelt. Auch wenn ich mir meiner koreanischen Wurzeln immer bewusst war und bin, wäre ich damals nie auf den Gedanken gekommen, kein vollwertiges Mitglied dieser deutschen Gesellschaft zu sein. Ich war hier geboren, bin hier aufgewachsen, bin hier zuhause.

Heute aber kommen Politiker und Menschen, die es vermeintlich gut mit mir meinen, auf die Idee, eine Willkommenskultur in Deutschland zu etablieren, um Menschen wie mich willkommen zu heißen. Nach über 40 Jahren!
Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Menschen willkommen zu heißen, ihnen mit offenen Armen zu begegnen, ist immer richtig bei Menschen, die hier fremd sind. Das trifft vor allem auf Menschen zu, die erst seit kurzem in Deutschland leben.
Aber auf Menschen wie mich?

Was mir völlig gegen den Strich geht, ist wieder die Pauschalisierung von Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund und damit mein Ausschluss aus der Gruppe der Deutschen. Eine Willkommenskultur ist für Neuankömmlinge hilfreich.
Aber was kommt danach? Was folgt nach der Willkommenskultur?
Wann bin ich ein selbstverständliches Mitglied dieser meiner Gesellschaft? Ohne, dass andere mich willkommen heißen müssen? Ohne, dass ich immer meine Herkunft erklären muss?

Ich bin nicht nur hier geboren, also selbst nicht eingewandert, sondern habe mich heimisch und als Deutscher gefühlt.
So heimisch, dass ich völlig verdrängt habe, dass ich auch mal die (süd)koreanische Staatsbürgerschaft besaß und unsere Familie eingebürgert wurde.
So heimisch, dass ich mich ohne zu zögern für den Wehrdienst entschied.
So heimisch, dass ich keinerlei Loyalitätskonflikte zwischen Deutschland und Korea kannte.

Dass ich in der heutigen Zeit zu einem Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund reduziert werde, also offenbar kein vollwertiger Deutscher bin (oder wie muss ich das sonst interpretieren?!), ist schon ärgerlich genug.
Eine pauschale Willkommenskultur für alle Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund bedeutet aber die Zusatzbotschaft, dass Menschen wie ich hierzulande keine richtigen vollwertigen Deutscher sind.

Ich bin beleidigt.

Denn damit werde ich menschlich degradiert, herabgestuft zu einem Menschen mit Migrationshintergrund. Menschen wie ich brauchen keine Willkommenskultur, sondern ein Verständnis vom »Deutschen«, das Menschen wie mich mit einschließt.

Als ich bei der Bundeswehr war, haben die anderen mich wie jeden anderen Kameraden auch behandelt. Keine schrägen Blicke. Keine dummen Kommentare. Gleiche Erwartungen. Gleiche Anforderungen. Ich war ein Deutscher unter vielen. Wenn das damals schon in der Bundeswehr möglich war, warum dann nicht mehr heute in der deutschen Gesellschaft?

P.S. Ich bin mir bewusst, dass die Bundeswehr nicht überall und zu jeder Zeit gleich funktioniert (hat). Vielleicht habe ich auch den ein oder anderen Vorfall vergessen. Nach über 20 Jahren sind aber eher neutrale (weil Bundeswehr an sich nicht unbedingt ein Highlight im Leben ist) Gefühle hängen geblieben.
Ich bin mir auch bewusst, dass ich hier nur über mich schreiben kann. Ein Einzelfall, könnte mensch sagen. Ich frage mich nur, warum wird aus einem Einzelfall kein Allgemeinfall?

Veröffentlicht von Daniel Sanghoon

Hi, ich bin Daniel Sanghoon Lee. Hier schreibe ich auf, was mich als Koreaner der zweiten Generation beschäftigt. Die Kommentarfunktion ist bis auf weiteres abgeschaltet (Stichwort DSGVO).

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