Assimilation? Da waren wir schon mal, ihr habt es nur nicht bemerkt

Ruud Koopmans ist ein niederländischer Soziologe, dem offenbar erst seit einiger Zeit klar geworden ist, dass Multikulti falsch und stattdessen Assimilation der richtige Weg für die Integration der vielen Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund sei.

Die NZZ schreibt dazu heute in einem Artikel:

«Heute ist für Koopmans klar: Integration funktioniert über Assimilation, nicht über Multikulturalismus. Denn wer die Sprache der Mehrheit spricht, wer die Gepflogenheiten bei der Stellensuche kennt, hat weit bessere Chancen auf eine geregelte Arbeit, und das wiederum öffnet neue Türen in die Mehrheitsgesellschaft. «Assimilation muss und wird auch nie komplett und einseitig sein», so Koopmans, aber ohne Anpassung geht es nicht.»

(Martin Beglinger: Einwanderung: Multikulti führt zu Abkapselung; 27.06.2017, Neue Zürcher Zeitung, abgerufen am 27.06.2017)

Diese Erkenntnis von Koopmans löst bei mir nur Kopfschütteln aus.

Warum?

Als Schüler habe ich 1988 ein Praktikum bei der Stadt Krefeld gemacht. Dabei stieß ich in Unterrichtsmaterialien auf folgendes Bild:

Karikatur: He Papa, du bist Ausländer!

Karikatur: He Papa, du bist Ausländer!


(Cartoonist: Oğuz Peker;  Quelle: B. Hoffmann: Ausländer in der Karikatur; Unterrichtshilfen für den projektorientierten Kunstunterricht IV, herausgegeben von der Stadt Krefeld – Der Oberstadtdirektor/Pädagogischer und Psychologischer Dienst – Pädagogische Arbeitsstelle [im Rahmen des Modellversuchs „Unterrichtliche und außerunterrichtliche Integrationshilfen für türkische und deutsche Schüler in der Sekundarstufe I – SI-Projekt Krefeld“), Juli 1985)

Hier wurde einst abgebildet, was ein Koopmans heute fordert: Die erste Generation von Gastarbeiter-Kindern war teilweise so gut assimiliert, dass sie ihre eigenen Eltern als fremd empfanden. Das Heft, aus dem das Bild stammt, wurde 1985 gedruckt, also vor über 30 Jahren, längst bevor Koopmans zu seiner heute gefeierten Erkenntnis gekommen ist.

Was Koopmans und seine Kollegen offenbar nicht sehen und verstehen, ist, dass wir zuerst gerade unter der 2. Generation bereits einen Prozess der Assimilation hatten, der aber an dem gescheitert ist, was im NZZ-Artikel als «das grösste Integrationsproblem der Einwanderer» bezeichnet wird, nämlich die «permanente Diskriminierung in den Aufnahmeländern» (natürlich sind auch andere Faktoren möglich, genau das sollte Migrationsforschung aber auch erklären können). Die Folge war ein Multikulti mit einigen ausgeprägten Parallelgesellschaften, die wiederum zu neuen Problemen geführt haben. Und jetzt soll die Lösung wieder Assimilation sein?

Was mich ebenfalls irritiert, ist, dass als Folge der Diskriminierung gedacht wurde, eine gute Integrationspolitik bestehe im maximalen «Entgegenkommen des Staates gegenüber den Einwanderern». Entschuldigung, aber die beste Politik gegen Diskriminierung ist die Bekämpfung von Diskriminierung und nicht die Bemutterung der Betroffenen. Und schon verstehe ich wieder ein Stückchen mehr, wie es zu solchen unsinnigen Aktionen wie „Geh deinen Weg“ der Deutschlandstiftung Integration kommen kann.

Vor 12 Tagen habe ich auf Facebook zu einem Artikel auf FAZ.net ebenfalls zu Ruud Koopmans folgendes geschrieben:

«Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie klingt hier für mich eine Menge Naivität und (zerbrochene) Sozialromantik durch.
Die Anerkennung „unserer“ Kultur ist in meinen Augen nicht das Entscheidende. Was häufig nicht anerkannt wird, ist, dass die deutsche Kultur auch meine Kultur ist. Stattdessen wird mir eingeredet, meine Kultur sei allein die meiner Eltern.
Was soll auf der anderen Seite „Assimilation statt Multikulti“ heißen? Wie soll Assimilation in Deutschland aussehen, wenn „die“ Deutschen an sich schon ein buntes Volk von Rheinländern und Westfalen, Hessen und Franken, Schwaben und Bayern, Friesen und Sachsen, etc. sind?
Auf der anderen Seite haben sich People of Color soweit angepasst, dass sie wie ich selbst damit kein Problem. haben, zur Bundeswehr zu gehen und ihrem deutschen Vaterland zu dienen.
Und überhaupt: am meisten krankt die Migrationsforschung daran, dass so gut wie nie definiert wird, was das Ziel von Integration sein soll. Denn erst dann wird klar, was unter Integration zu verstehen ist und wie sich dann Integrationsprobleme äußern. Wie oft wurde schon geschrieben, dass vieles, was Wissenschaftler und Politiker als „Integrationsprobleme“ bezeichnen, am Ende „einfach nur“ Probleme sind, die mehr mit dem sozialen Background zu tun haben als mit der kulturellen Herkunft. Oder hat die Radikalisierung von weißen Deutschen wie der NSU oder die RAF etwas mit der deutschen Herkunft/Kultur zu tun? Wobei, ganz ausschließen würde ich das nicht. Genauso wenig, wie Religion, als Ideologie gehandhabt, Grundlage für Extremismus sein kann.»

(Quelle: Facebook vom 12.06.2017)

Der Artikel der NZZ fängt mit einem Zitat an:

«When the facts change, I change my mind. What do you do, Sir?»

Der Fakt, der sich geändert hat, ist: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Punkt.
Was sich bislang nicht geändert hat, ist die Einstellung der Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf die Frage, wer denn nun ein Deutscher ist. Wie ich im Artikel „Woher kommst du wirklich her?“ behaupte, denken die meisten hierzulande immer noch (unbewusst): Deutsches Volk, deutsches Blut. DAS ist für mich das größte Integrationsproblem. Solange Deutschland kein Einwanderungsland war, war dieses Denken auch kein so großes Problem. Nun haben sich aber die Fakten geändert – aber das Denken nicht. Gerade deswegen finde ich, müssen wir so langsam über eine „Leitkultur“ reden, um herauszufinden, wer wir Deutschen in Zukunft sein wollen (und ich bin mir sicher, dass bei einer Debatte über Leitkultur letztendlich klar wird, dass das nicht so einfach und offensichtlich ist, wie manche sich das denken). Meinetwegen können wir die Debatte auch anders benennen.
Aber wir müssen niedrigschwellig anfangen, damit die deutsche Mehrheitsgesellschaft ernsthaft anfängt zu reflektieren, wie ihr Bild vom „Deutschen“ tatsächlich ist.
Damit sich am Ende nicht nur die Fakten ändern, sondern endlich auch unser Denken.

So, what do you do, Sir?

Ausländer in der Karikatur

Ausländer in der Karikatur

Veröffentlicht von Daniel Sanghoon

Hi, ich bin Daniel Sanghoon Lee. Hier schreibe ich auf, was mich als Koreaner der zweiten Generation beschäftigt. Die Kommentarfunktion ist bis auf weiteres abgeschaltet (Stichwort DSGVO).

Kommentare sind geschlossen.