Woher kommst du wirklich her?

Cartoon: Aber ich sehe doch...

Aber ich sehe doch…

In den letzten Wochen sind auf ZEIT Online wieder einige Artikel erschienen, die sich mit der Frage „Woher kommst du?“ beschäftigen. Diese Artikel nerven mich mittlerweile, weil sie einen in meinen Augen wichtigen Aspekt völlig außen vor lassen, der aber wichtig ist, um zu verstehen, wann und warum diese Frage rassistisch ist: Sie gehen nicht konsequent darauf ein, WARUM Biodeutsche uns diese Frage stellen.

Der folgende, seeeeeeeeehr lange Text, ist übrigens geschrieben aus der Perspektive eines in Deutschland geborenen Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund, der sich in Sachen Sprache, Werte und Kultur nicht hinter irgendwelchen Biodeutschen verstecken muss und der sogar seinen Wehrdienst für sein deutsches Vaterland geleistet hat.

Zunächst einmal:

«Rassismus bedeutet strukturelle Diskriminierung von Menschen mit Bezug auf zugeschriebene „Hautfarben“, „Ethnien“, „Kulturen“, Migrationshintergründe, Sprachen.»

Leah Carola Czollek, Gudrun Perko, Heike Weinbach (2012): Praxishandbuch Social Justice und Diversity, S. 152.

Der Begriff „Rassismus“ beschreibt demnach erst einmal nur ein bestimmtes Verhalten, ohne danach zu fragen, ob das Verhalten absichtlich oder unabsichtlich oder aus welchen Gründen auch immer erfolgte.
Einen Rassisten definiere ich dagegen als einen Menschen, der sich bewusst(!) rassistisch verhält.
Deshalb kann mensch sich rassistisch verhalten, ohne zwangsläufig ein Rassist zu sein.
Dagegen handelt ein Rassist immer rassistisch.

Deutsches Volk, deutsches Blut

Die Frage „Woher kommst du eigentlich wirklich her?“ ist nicht per se rassistisch und bei weitem nicht so nervig wie das Unverständnis dafür, dass hinter dieser Frage völkisches Gedankengut steckt, WENN sie gestellt wird im Sinne von „woher kommst du wirklich her, weil ich SEHE ja, dass du ein Asiate und KEIN Deutscher bist; wir Deutsche sind ja weiße Mitteleuropäer und du bist ja keiner, sondern ein Asiate, also kannst du folglich, was die Abstammung/die Herkunft anbetrifft, kein Deutscher sein“.

Jeder Mensch, der mit mir spricht, hört sofort, dass ich kein Ausländer bin. Wenn ich ein koreanischer Tourist wäre, ein Auslandsstudent oder der Manager einer koreanischen Firma im Auslandseinsatz (bei Weißen auch gerne Expatriate/Expat genannt), wäre diese Frage nicht ausgrenzend, denn in den genannten Beispielen würde ich keinen Anspruch erheben, ein Deutscher zu sein.

Aber als hier geborener und aufgewachsener Mensch mit deutscher Staatsbürgerschaft ist das etwas anderes. Denn ich bin ein Deutscher. Doch mit dieser Frage wird indirekt davon ausgegangen, dass Deutschsein etwas mit einer biologischen Abstammung zu tun habe. Deutsches Volk, deutsches Blut halt.
Und in mir fließt offensichtlich kein deutsches Blut. Vielleicht besteht ja deswegen häufig ein sooooooooooooooooooo großes Interesse an der Herkunft meines Blutes. Weil fremdes Blut muss exotische Geschichten zu erzählen haben!

Und wenn sie dann endlich(!) hören, dass meine Eltern aus Korea stammen, bin ich natürlich sofort ihr Experte für Korea, weil, das Wissen darüber habe ich ja quasi mit der Muttermilch aufgesogen.

Und wenn ich dann offenbare, dass ich nicht wirklich viel Ahnung habe von koreanischer Kultur und nicht mal die Sprache richtig spreche, kommen die mitleidvollen Blicke:
„Das ist aber schade.“
Oder
„Du musst dich doch nicht für deine Herkunft schämen…“

Doch, manchmal muss ich mich schämen, ein Deutscher zu sein.

Ups, ich bin ja kein Deutscher, ich Dummerchen. Zumindest nicht, was die Abstammung anbetrifft.

Warum ist es mir so wichtig, Deutscher zu sein?

Mir ist es nicht wichtig, ein Deutscher zu sein. Mir ist es wichtig, Teil der Bevölkerung zu sein, mit der ich lebe. Und das ist nunmal die deutsche Bevölkerung, das deutsche Volk. Deswegen will ich als Deutscher betrachtet und behandelt werden.

Normalerweise werden Menschen in eine Gesellschaft hineingeboren und wachsen als selbstverständliches Mitglied dieser Gesellschaft auf. Sie werden nicht gefragt, wer sie sind, noch werden sie gefragt, woher sie denn kämen. Sie sind per Geburt Deutsche. Da gibt es in der Regel keine Zweifel.

Bei mir war es so, dass mein Umfeld fast drei Jahrzehnte lang auf mich eingeredet hat, ich sei ein Koreaner, obwohl ich hier in Deutschland geboren bin. Dies wäre insofern kein Problem, wenn ich auch tatsächlich ein Koreaner im kulturellen Sinne wäre und sein könnte. Also einer, dessen Muttersprache Koreanisch ist, der die koreanische Kultur und Sitten kennt, der die koreanischen Werte lebt bzw. sich mit ihnen auseinandersetzt. Der bin ich aber nicht.

Dazu kommt, dass die Öffentlichkeit inzwischen von sogenannten Migranten fordert, sich an die deutsche Kultur anzupassen, sich zu integrieren. Manche sprechen sogar von Assimilation. Und tatsächlich erfülle ich im Grunde bereits alle möglichen Anforderungen, die an eine vermeintlich erfolgreiche Integration geknüpft werden. Nur, was das Ergebnis einer erfolgreichen Integration sein soll, das erzählt dir niemand.

Denn die ständigen Fragen, woher ich denn wirklich stamme, weil man ja sehen könne, dass ich kein Deutscher sei, machen nur deutlich, dass ich vielleicht erfolgreich integriert bin. Nur ein Deutscher bin ich nach Ansicht der Mehrheitsgesellschaft trotzdem nicht. Deutscher Staatsbürger, ja. Aber ein Mitglied des deutschen Volkes? Nein. Das war wohl auch nie gemeint mit „Integration“.

Ich war bei meiner Geburt ein sogenannter Migrant, ich bin auch nach meiner „erfolgreichen“ Integration ein Migrant geblieben. Welchen Zweck hat dann Integration, wenn sich mein Status dadurch nicht ändert?

Als Kind war ich ein Ausländer und wurde wie ein Deutscher behandelt.
Jetzt bin ich ein Deutscher und werde wie ein Ausländer behandelt.

Eigenzitat

Dabei bin ich kein Migrant. Ich bin ja von nirgendwo eingewandert. Das ist die Geschichte meiner Eltern, nicht meine. Wenn ich mal die Heimat meiner Eltern besuche, dann falle ich optisch nicht sofort auf. Erst wenn ich anfange zu reden, stoße ich auf Verwunderung. Ob ich aus Japan stamme, weil mein Koreanisch so schlecht ist. Und wie ich esse! Mit geschlossenem Mund! Und weiß er nicht, wie man sich hier in Korea benimmt?

All das macht mir deutlich, dass ich vielleicht ein biologischer Koreaner bin. Aber mit der Kultur dort habe ich nicht mehr viel gemein. Meine Heimat ist Deutschland. Nur Deutschland will mich nicht. Zumindest mich nicht zum deutschen Volke zählen. Das soll scheinbar immer noch den Biodeutschen vorbehalten sein. Warum werde ich sonst immer noch nach meiner eigentlichen, wirklichen Abstammung gefragt, die ja offenbar nicht deutsch sein darf?

„Aber ich sehe doch, dass du ein Asiate bist…“

Dabei ist auch das keine Selbstverständlichkeit, dass ich mich selbst als Deutschen betrachte. Ich habe mit mir selbst ringen müssen, bis ich endlich akzeptiert habe, dass ich mehr Deutscher bin als Koreaner.
Und es hat sich am Anfang komisch angefühlt, laut zu sagen: ich bin ein Deutscher.

Dabei möchte ich schlicht und einfach das, was Biodeutsche schon immer sind: Teil einer Gesellschaft sein, ohne mich beweisen, ohne mich rechtfertigen zu müssen.

Die Frage, woher ich stamme, begleitet mich mein Leben lang. In der Schule, in der Straßenbahn, auf der Straße, im Geschäft, bei Freunden, im Sportverein, …
Die Frage ist eher, wo und wann wurde ich nicht gefragt?
Und wenn du dein Leben lang gefragt wirst, woher du denn kommst, dann ist die Frage nach der Herkunft, der „Heimat“, eine wichtige Frage, ein wichtiger Teil von dir. Und wenn die Antwort nicht mehr „Korea“ lautet, dann entsteht eine Lücke, die gefüllt werden muss. Und die lautet nunmal „Deutschland“. Ich stamme aus Deutschland.

Aber: solange diese „völkische“ Vorstellung vom deutschen Volk als NORMAL betrachtet wird (deutsches Volk = weiße mitteleuropäische Rasse mit einer derart komplexen und hochentwickelten Kultur, die von den armen Migrantenkindern natürlich nur unter größten Anstrengungen vielleicht nur ansatzweise adaptiert werden kann; oder warum werden wir sonst immer dafür gelobt, so gut Deutsch sprechen zu können – für Menschen wie mich scheint das ja eine besondere Leistung zu sein, was für Biodeutsche natürlich eine Selbstverständlichkeit ist), wird natürlich auch die Frage nach der Herkunft von diesen Menschen nicht rassistisch gedeutet (weil es ja normal ist, dass der Deutsche und die Person of Color nicht derselben Rasse Ethnie Rasse angehören), sondern nur als gutgemeinte Neugier für das exotisierte (hach, diese Asiaten!) oder auch bemitleidenswerte (ach, diese Araber!) Anderssein interpretiert.

Mehrfachidentitäten

Aber wenn die Koreaner „mein“ Volk sind, folgt daraus dann nicht, dass ich mich in Zukunft mit „meinem“ Volk beschäftigen, „meine“ Kultur und Sprache lernen und ich mich mit Korea identifizieren sollte statt mit Deutschland? Dann käme vielleicht auch ein lockeres „Hey, ich komme aus Korea!“ aus meinem Munde.

Warum muss ich mich denn eigentlich zwischen deutscher und koreanischer Identität entscheiden?
Muss ich das?
Kann ich nicht, wie ich von Horst Seehofer gelernt habe, ein Koreaner UND ein Deutscher sein? Denn Seehofer, so habe ich ihn verstanden, versteht sich als Deutscher UND als Bayer. Klar, Bayern gehört zu Deutschland. Aber nicht jeder Deutscher ist damit auch ein Bayer. Oder ein Sachse. Oder ein Friese, Hesse, Rheinländer, Westfale, etc.
Das heißt, es ist offenbar möglich, selbst als Deutscher mit mehreren und unterschiedlichen Identitäten zu leben.
Hey, die Bayern haben sogar eine eigene Bayern-Hymne!

Dass wir uns nicht falsch verstehen: Der Korea-Anteil ist bei mir nicht sehr groß. Er ist trotzdem vorhanden. Auch wenn ich mich als Deutschen sehe und bezeichne. Immerhin habe ich noch Verwandte in Korea. Dabei kann es auch anstrengend sein, mehreren Kulturen anzugehören, besonders, wenn sich kulturelle Elemente widersprechen. Dann können Konflikte entstehen, die entweder im Privaten ausgetragen werden (Konflikte, die keiner sieht), oder irgendwann die Öffentlichkeit erreichen (Konflikte, die dann in der Zeitung stehen).

„Ist es denn wichtig, was andere über mich denken? Sei doch einfach, wer du sein willst!“

Nein, es ist mir eigentlich nicht wichtig, was andere über mich denken – wenn man mich denn sein ließe, wer ich sein möchte. Ich bin nicht damit einverstanden, dass andere bestimmen dürfen, wer ich zu sein habe. Kann ich denn kein Deutscher sein, wenn ich mich selbst als Deutscher sehe?

Leider sieht das die Mehrheit der deutschen Gesellschaft offenbar anders. Und mit deutscher Gesellschaft meine ich jetzt sowohl Biodeutsche als auch Deutsche mit sogenanntem Migrationshintergrund als auch Ausländer. Die Mehrheit von ihnen sieht in mir den Asiaten, vielleicht noch den hier Geborenen, den hier Aufgewachsenen, den hier Sozialisierten. Aber nicht den Deutschen.

Vielleicht haben sie es rational verstanden, dass ich ein Deutscher bin. Aber sie fühlen es nicht. Und ich lebe nun mal nicht auf einer einsamen Insel, wo die Werturteile anderer keinen Einfluss auf mein Leben haben.

Aber Moment, habe ich nicht weiter oben geschrieben, dass ich auch Koreaner bin? Also bin ich doch kein richtiger Deutscher, oder?

Was ist denn ein „richtiger“ Deutscher?
Ist ein „richtiger“ Deutscher ein „reiner“ Deutscher? Frei von „fremden“ kulturellen Einflüssen? Frei von „fremden“ biologischen Einflüssen?

Über diese Fragen müssten Journalisten nachdenken und Politiker mit uns allen diskutieren.
Über die Frage, wer sind wir Deutsche?
Angesichts der Tatsache, dass wir schon längst eine Einwanderungsgesellschaft sind, wäre aber folgende Frage noch wichtiger:

Wer wollen wir Deutsche denn in Zukunft sein?

Im Moment bestimmen die Mehrheitsgesellschaft, die Politik und die öffentliche Meinung, wer ich bin, wer ich zu sein habe. Es sind Institutionen, die bestimmen, dass selbst meine Kinder einmal Menschen mit Migrationshintergrund sein werden. Weder ich bestimme das selbst, noch werden eines Tages meine Kinder festlegen, wer sie sind. Es sind andere, Biodeutsche, die das bestimmen werden.

Ich kann noch so oft sagen, ich sei ein Deutscher. Verstanden wird aber nur: Deutscher Staatsangehöriger.

Diese Deutungshoheit weist auf die hier herrschenden Machtverhältnisse hin, die wiederum Menschen veranlassen zu sagen, dass Migranten Biodeutsche nicht rassistisch diskriminieren können, weil „uns“ Migranten schlicht die Macht fehlt, einen derartigen Definitionsdruck auf Biodeutsche auszuüben wie sie Biodeutsche auf uns ausüben.

Dabei gibt es eine Situation, in der würde ich mich über die Frage nach meiner biologischen Herkunft freuen: nämlich wenn wir in einer Gesellschaft leben würden, in der ich darauf vertrauen kann, dass meine Mitmenschen mich ganz selbstverständlich als ihren deutschen Landsmann betrachten, egal, was ich tue, wie ich aussehe, oder dass ich nicht nur Deutscher, sondern auch Koreaner bin.
Ohne, dass mein Deutschsein dabei hinterfragt wird.
Ohne, dass ich mein Deutschsein erst beweisen muss.

Selbst wenn ich mich in der Öffentlichkeit daneben benehmen würde, würde niemand dies mit meiner (biologischen) Herkunft in Zusammenhang bringen. Wenn ich als Mann eine Frau belästige, dann, weil ich ein schlecht erzogener Mann bin. Aber nicht, weil ich als Koreaner aus einer patriarchalischen Kultur entstamme.

Sehen wir uns doch mal nur Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt an. Ein Trio, das 10 Menschen ermordet, Raubüberfälle und ein Nagelbombenattentat verübt haben soll. Wie barbarisch will mensch noch gegen unsere Werte und Gesetze verstoßen? Das sind Terroristen! Und doch wird ihr Handeln niemals mit ihrer Kultur oder Herkunft in Verbindung gebracht noch wird ihnen ihr Deutschsein abgesprochen. Denn als Biodeutsche, Deutsche biologischer Abstammung müssen sie ihr Deutschsein weder beweisen noch sich dessen würdig erweisen. Selbst bei so abscheulichen Verbrechen nicht. Niemand sagt, wer solche Verbrechen begeht, ist kein Deutscher mehr. Nicht bei Beate Zschäpe und Co.

Menschen wie ich dagegen, wir müssen uns stets erklären. Nicht erst, wenn wir Verbrechen begehen. Nein, allein unsere Anwesenheit erfordert bereits eine Erklärung, eine Rechtfertigung. Wer das nicht schon in der Schule zu spüren bekommen hat, macht diese Erfahrung spätestens im Berufsleben.

Und vor diesem Hintergrund steht die Frage „Woher kommst Du wirklich her?“ nicht für naiv-unschuldige Neugier, sondern für eine Bestätigung des biologisch definierten Verständnisses vom Deutschen (Wir Deutschen) und Nicht-Deutschen (Ihr Migranten).

Erst wenn ich auch als Verbrecher noch Deutscher bin (und nicht Deutschkoreaner, nur um anzudeuten, dass ich kein biologischer Deutscher bin und daher möglicherweise eine Verbindung zur patriarchalischen Kultur meiner biologischen Heimat besteht), werde ich mich über die Frage nach meiner biologischen Herkunft freuen.

Mehr Realitätssinn bei Rechten

Noch ein Gedanke, der mich bei diesem Thema nicht loslässt:

Ich bin überzeugt, dass besonders die Rechten in Deutschland realisiert haben, dass eine erfolgreiche Integration zu einem veränderten Volksverständnis führen muss. Das Staatsangehörigkeitsrecht wurde ja schon dahingehend geändert, dass hier Geborene die deutsche Staatsbürgerschaft leichter erhalten können als solche, die im Ausland geboren wurden. Das heißt, das „deutsche Volk“ wird sich eines Tages nicht mehr allein über die Abstammung, das „Blut“, definieren lassen. Menschen wie ich werden dann eines Tages auch als „richtige“ Deutsche gezählt.

Das aber ist genau die Angst von Menschen, die – bewusst oder unbewusst – immer noch von einem deutschen Volk als einer homogenen Gruppe von weißen, mitteleuropäischen Menschen ausgehen. Nur in dieser Form fühlt es sich für diese Menschen richtig an. Das haben sie so verinnerlicht. Wir sind dabei, dieses Weltbild zu verändern, ohne dies aber bewusst zu steuern, zu managen. Menschen sollen implizit ihre aus meiner Sicht vorsintflutliche Vorstellung vom deutschen Volk aufgeben – ohne eine konkrete, attraktive Alternative. Eben weil wir nicht öffentlich darüber reden, wie wir als Deutsche in Zukunft gemeinsam leben wollen und warum. Und die Menschen spüren, dass da was auf sie zukommt, ohne dass sie darin ein Mitspracherecht erhalten. Sie gehen dann auf die Straße, und ich sage euch, sie gehen zurecht auf die Straße.

Aber hey, was soll ich sagen? Wir „Migranten“ sind es ja gewohnt, dass andere bestimmen, wer wir zu sein haben. Willkommen im Club!

Reicht es nicht, wenn sich die Migranten hier einfach anpassen?

Nein, das reicht nicht, denn solange wir Menschen nach ihrem Aussehen bzw. ihrer biologischen Herkunft her unterscheiden, werden Menschen wie ich immer nur als „fremd“ und „nichtdeutsch“ wahrgenommen. Schwarze Deutsche können ein langes Lied davon singen.

Auch der jüngste Vorstoß zu einer Leitkulturdebatte ist für mich nur der halbherziger Versuch, dieses Vakuum einer fehlenden Alternative zu füllen. Es werden Punkte aufgezählt, die für die deutsche Gesellschaft identitätsstiftend sein sollen. Doch auch in diesem Fall wird nicht darüber gesprochen, wer das „deutsche Volk“ sein soll. Es fehlt der Mut, darüber zu reden. Stattdessen spricht Bundesinnenminister Thomas de Maizière von «Staatsbürgerinnen und Staatsbürger unseres Landes». Er spricht von Deutschland, aber nicht von „den Deutschen“. Sein Beitrag richtet sich ganz deutlich an uns „Migranten“, aber nicht wirklich an Biodeutsche.

Es fehlt eine klare Vision, wer das deutsche Volk ist oder sein soll, und dass das deutsche Volk letzten Endes nicht mehr allein durch die Biologie definiert wird (manchmal habe ich das Gefühl, für viele Deutsche ist das Thema „deutsches Volk“ einfach nur ein Igitt-Thema, über das nicht offen gesprochen wird, wenn mensch nicht als Rechter gelten will). Vor allem fehlt eine Begründung für das Herz, warum es für den einzelnen Biodeutschen toll sein soll, dass die Biologie keine Rolle mehr spielt und sich das Verständnis vom deutschen Volk ändern soll.

Und sagt mir nicht, wir wären schon längst soweit. Es gibt viele Argumente, Zahlen und Studien, die uns sagen wollen, dass Integration und Vielfalt gut seien. Doch diese sprechen nur unseren Verstand an, nicht unser Herz, nicht unseren Bauch. Unser Kopf mag sagen, dass Zuwanderung Sinn ergibt. Doch noch fühlen wir es nicht. Denn wäre dem so, würden Menschen zu mir sagen:
„Hey, ich HÖRE, dass du ein Deutscher bist wie ich.“
Punkt.
Stattdessen sagen sie:
„Ich HÖRE, dass du wie ein Deutscher sprichst, aber ich SEHE, dass du kein Deutscher, sondern ein Asiate bist. Erkläre dich!“

Dass die Biologie nicht mehr entscheidet, wer Deutscher ist, fürchten diejenigen, die ihre nationale Identität vor allem aus dem Biologischen ableiten. Sprache allein reicht nicht, um Deutsch zu sein. Und wenn ich das verstanden habe, dann verstehe ich auch, warum einige Menschen vom großen Austausch des deutschen Volkes fabulieren.

Mein Fazit:

Deutsches Volk… Wahrscheinlich haben die meisten hier Probleme, vom „deutschen Volk“ zu sprechen, oder? Es klingt so nationalistisch, so abstoßend und irgendwie nach einer Zeit, die wir schon längst überwunden geglaubt hatten.

Nur, jeder, der mich fragt, woher ich denn nun wirklich stamme, weil man ja sehen könne, dass ich ein Asiate sei und kein Deutscher, unterliegt damit – ob er sich dessen bewusst ist oder nicht – der Vorstellung von einem deutschen Volk, das sich über biologische Eigenschaften definiert und nicht über Sprache, Kultur, Werte, etc. Denn an Sprache, Kultur und Werten kann es nicht liegen, dass ich nicht als Deutscher wahrgenommen werde.

Und den biologischen Teil, der mich zu einem „richtigen“ Deutschen macht, kann ich nicht liefern. Das ist der letzte Schritt im Integrationsprozess, den die Mehrheitsgesellschaft gehen muss, nicht ich. Mich aber wegen der Biologie vom deutschen Volk auszuschließen, ist rassistisch, weil ich dann aufgrund meiner zugeschriebenen „Ethnie“ oder „Hautfarbe“ anders und damit ungleich behandelt werde. Obwohl ich doch auch ein Deutscher bin.

Dies ändern kann nur die Mehrheitsgesellschaft selbst, wenn sie endlich begreift, dass Deutschsein nichts mit Biologie zu tun hat. Erst dann kann Integration wirklich erfolgreich sein. Und dann ist die Frage nach meinen ethnischen Wurzeln eine, die ich gerne beantworte.

Diese deutsche Gesellschaft ist nicht mehr dieselbe Gesellschaft wie vor 50 Jahren. Wir sind jetzt eine Einwanderungsgesellschaft. Und deswegen brauchen wir eine neue Vision, ein gemeinsames Narrativ, das uns als Gesellschaft vereint, mit dem wir uns alle identifizieren können.

I have a dream…
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Zum Schluss noch meine Anmerkungen zu den Artikeln in der ZEIT:

Mit dem Artikel von Henning Sußebach fing es an:

«Falls jemand auf „Wo kommst du eigentlich her?“ mit „aus Hamburg-Altona“ antwortet, hake ich also nicht nach. Wenn ich mir das Recht auf eine Frage zubillige, muss ich auch jede Antwort akzeptieren.»

Henning Sußebach: Rassismus: Wo kommst du eigentlich her?, 10.05.2017

In diesem Kontext und so gemeint ist die Frage „Wo kommst du eigentlich her?“ nicht rassistisch.

«Ausgerechnet dort, wo ich die größte Diskriminierungswut vermute, in den Problemvierteln der Städte, in mit Korankacheln gefliesten Dönerbuden oder bei radebrechenden, prekär beschäftigten Taxifahrern, bekomme ich auf die Frage die lässigsten Antworten: „Aus’m Libanon, Digga!“, „Ghana, Alder!“»

Ich selber habe auch lange Zeit geantwortet, dass ich Koreaner sei. Ich dachte auch lange Zeit, Rassismus ist ein Problem, das „die Türken“ haben. Aber ich doch nicht. Bis ich mit Mitte Dreißig erst angefangen habe, mich mit dem Thema zu beschäftigen und ich gelernt habe, was Rassismus eigentlich ist, wie Rassismus wirkt, und dass ich selbst schon häufig genug rassistisch diskriminiert worden bin, ohne es zu merken oder zu begreifen. Und wer kein stolzer Deutscher sein kann (ui, stolz und Deutsch in einem Satz…), der ist dann halt ein stolzer Koreaner. Oder so. Letztendlich können die oben zitierten „lässigen“ Antworten vieles bedeuten. Dass diese Menschen keinen Rassismus erfahren, bedeuten sie nicht.

«Der zweite Mann auf der Bühne, Michel Abdollahi, der Journalist und Künstler, vor dessen Wortgewalt ich am meisten Angst gehabt hatte. Dieser Abdollahi startete gleich mit einem Fauxpas in den Abend. Er fragte den Politiker Ilkhanipour, in welchem Alter er nach Deutschland gekommen sei – der blaffte in AfD-artiger Empörung zurück: „Ich! Bin! Hier! Geboren!“ Sehr komisch.

Aber Abdollahi redete einfach weiter und erzählte, dass er auch Jugend- und Stadtteilarbeit macht. Er sagte, für sein Engagement sei das Wissen um die Herkunft wichtig. Kinder iranischer Einwanderer hätten in Deutschland andere Probleme als Nachkommen von Nordafrikanern. Es gebe zig verschiedene Kulturkreise, manche offen, andere verschlossen, jeder mit unterschiedlicher Migrationsgeschichte, mit anderen Hoffnungen und Verletzlichkeiten. Es wäre ignorant, das zu ignorieren.»

Der Text macht deutlich, was der Autor nicht versteht: Es geht nicht darum, zu ignorieren, dass ich koreanische Wurzeln habe. Es geht darum, dass das kein Ausschlusskriterium für mein Deutschsein ist (siehe Stichwort Mehrfachidentitäten).

Was ich bislang noch gar nicht erörtert habe, ist, dass Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund keine homogene Masse sind. Es sind…

    • Menschen, die hier geboren sind, denen wir aber dennoch einen Migrationshintergrund zuschreiben, die in einem engen Kontakt mit Menschen aus ihrer Herkunftsgemeinschaft leben (so wie bei vielen türkeistämmigen Menschen)
      Menschen, die hier geboren sind, denen wir aber dennoch einen Migrationshintergrund zuschreiben, die keinen engen Kontakt mit Menschen aus ihrer Herkunftsgemeinschaft haben, weil deren Gemeinschaft sehr klein ist (so wie die koreanische Gemeinschaft)
      Menschen, die im Ausland geboren worden sind und als Kleinkinder nach Deutschland kamen
      Menschen, die im Ausland geboren worden sind und als Jugendliche nach Deutschland kamen
      Menschen, die im Ausland geboren worden sind und als Erwachsene nach Deutschland kamen
      Menschen, die im Ausland geboren worden sind und als Geflüchtete nach Deutschland kamen
      Menschen, die im Ausland geboren worden sind und alleine nach Deutschland kamen
      Menschen, die im Ausland geboren worden sind und mit Familie nach Deutschland kamen
      Menschen, die…
  • Wir müssen zwischen diesen Menschen differenzieren, weil sie alle unterschiedliche Erfahrungen und Erlebnisse, unterschiedliche Motive und Erwartungen, unterschiedliche Bildung, Fähigkeiten und Ziele mitbringen. Und selbst die Kategorien, die ich hier mal grob aufgezählt habe, lassen sich noch weiter nach Geschlecht, Kultur, Religion und was-weiß-ich-was unterscheiden. Im richtigen Kontext ist es also richtig, nach der Herkunft zu fragen, ohne dass dies gleich rassistisch ist. Denn der im Text erwähnte Abdollahi fragt nicht nach der Herkunft, um zwischen Biodeutschen und Nicht-Biodeutschen zu unterscheiden, sondern um den individuellen Integrationsprozess zu verstehen. Integration ist keine Massenware, kein Prozess, der für jeden gleich abläuft. Es ist in der Tat ignorant, das nicht zu sehen.

    Und nebenbei bemerkt: Es gibt natürlich auch Menschen, die wollen gar keine Deutsche sein und sehen sich auch nicht als Deutsche. Diese Menschen haben natürlich auch kein Problem damit, wenn sie nach ihrer Herkunft gefragt werden.

    Kommen wir zur Replik auf ZEIT Online (ich weiß, es gab auch Texte woanders, die ich aber nicht gelesen habe, weil ich mich mit der Thematik eigentlich nicht mehr auseinandersetzen wollte):

    «Wir können uns an keine erkenntnisreichen Momente nach der Herkunftsfrage erinnern, manche Leute geben sich schon zufrieden, wenn wir ihnen einfach das Land nennen, das Erklärung bietet. Es geht selten um wirkliche Neugier, sie wollen uns einordnen. Die größte Erkenntnis, die wir durch dieses immer gleiche Ritual gewonnen haben: Wir gehören nicht richtig dazu. Wir sind fremd.»

    Susan Djahangard, Jean-Pierre Ziegler: Diskriminierung: Fragt mal was anderes!, 23.05.2017

    Genau darum geht es.
    Uns einzuordnen.
    Weil wir ja keine Biodeutschen sind.
    Was sind wir dann? Denn einfach „Deutsche“ können wir ja nicht sein.
    Und warum fühlen wir uns nach solch einer Einordnung fremd? Weil wir spüren, warum wir gefragt werden. Weil wir das unausgesprochene Bild vom „deutschen Volk“ kennen.

    «Hunderte Kilometer fahre ich zu einem Treffen Afrodeutscher in ein Dorf bei Kassel. Ich fand es vorher albern, dass sich Schwarze als Brüder und Schwestern bezeichnen. Doch bei diesem Treffen fühle ich mich Fremden verbunden. Als wären wir tatsächlich zusammen aufgewachsen.»

    Und genau hier liegt in meinen Augen die Basis für jede Parallelgesellschaft: Sie geben uns ein Gefühl der richtigen Heimat, das uns die Mehrheitsgesellschaft verweigert. Wir müssen uns dort nicht erklären, wir erkennen gleich die Gemeinsamkeiten. Das ist nicht allein die ähnliche äußere Erscheinungsform. Es geht schon damit los, dass niemand dich angafft, als wärst Du eine Zooattraktivität. Du wirst nicht aufgrund deiner vermeintlichen Rassenzugehörigkeit beurteilt, denn dort, wo Heimat ist, wirst Du als gleichwertiger und dazugehöriger Mensch behandelt. Als Fremder vielleicht, aber nicht als Ausländer. Biodeutsche kennen in der Regel nicht das Gefühl, von anderen Biodeutschen als Ausländer im eigenen Land behandelt zu werden.

    «Den Nahen Osten hatten wir in Erdkunde nie. Ich habe vieler solcher Momente erlebt, sollte Sätze auf Farsi übersetzen, erklären, wie wir Neujahr feiern. Auf die meisten dieser Fragen hatte ich keine Antwort. Als Jugendliche war mir das peinlich. Deshalb fing ich an zu lernen. Kaufte mir Bücher und schrieb eine Hausarbeit über die Revolution. Immer wieder schaute ich mir die Seite im Atlas an. Iran. Armenien. Aserbaidschan. Turkmenistan.»

    Mir ging es ähnlich. Immer wieder Fragen über Korea. Also fing auch ich an zu lesen. Mich für Korea zu interessieren. Schließlich meinte ja jeder, ich sei ein Koreaner. Schließlich fragte ja auch jeder nach Korea. Und du willst nicht als Depp dastehen, der sein eigenes Land nicht kennt. Hinterher heißt es dann, wenn der nicht mal über seine eigene Heimat Bescheid weiß, was weiß er denn dann?
    Und dann wundern sich die Biodeutschen, warum die hier lebenden „Türken“ für Erdoğan in der Türkei gestimmt haben. Ich war mal in Japan und habe dort geborene Koreaner kennengelernt. Dort habe ich gelernt, dass die Mehrheit der japanischen Nordkoreaner ihre Wurzeln eigentlich im südlichen Teil Koreas hat genau wie die japanischen Südkoreaner. Der Rassismus der Japaner und die Ignoranz des südkoreanischen Staates haben dafür gesorgt, dass sich diese Koreaner im kapitalistischen Japan zu Nordkorea bekennen, ohne jemals in Nordkorea gewesen zu sein. Insofern erkenne ich hier in Deutschland mir schon bekannte Muster.

    Die koreanische Sprache habe ich trotzdem nicht gelernt. Zu wenige Koreaner in meinem Alter damals, mit denen ich gemeinsam lernen konnte. Und Koreanisch mit meinen Eltern lernen?
    Ich bin nicht masochistisch.

    «Der Rassismus, den wir im Alltag erleben, fängt damit an, dass wir als fremd erkannt werden.»

    Ja. Nur bin ich mittlerweile überzeugt, wenn wir nicht anfangen, die Ursachen für diese Art von Rassismus direkt und offen anzusprechen, nämlich die verinnerlichte Vorstellung vom „deutschen Volk“ als einer BIOLOGISCH homogenen Menschengruppe, dann wird sich hier auch nichts ändern.
    ES KANN NICHT SEIN, WAS NICHT SEIN DARF!
    Diese Denkblockade müssen wir überwinden.

    Wir müssen dies allerdings nicht so direkt tun, wie ich es in diesem Artikel tue. Wir müssen wohl geduldig Gegenfragen stellen, warum uns diese Frage gestellt wird, was hinter dieser vermeintlichen Neugier steckt, und vor allem, ob sie nicht HÖREN, dass wir Deutsche sind und warum das SEHEN das HÖREN übertrumpft.

    Schließlich äußert sich Michel Abdollahi selbst, von dessen Veranstaltung Sußebach berichtet hat, auf ZEIT online mit einem eigenen Kommentar:

    «Ich plädiere an uns Migranten, Fragen dieser Art nicht immer gleich als Angriff und als Ausdruck von Ignoranz zu verstehen, wenn sie ebenso als Indiz für etwas Positives taugen: die Entwicklung hin zu einer weniger rassistischen Gesellschaft. Es ist doch eine Errungenschaft, dass wir mittlerweile ein Reflexionsniveau erreicht haben, auf dem wir tatsächlich ins Gespräch kommen können. Wir sollten reden, statt jene, die sich aufrichtig mit diesen Fragen beschäftigen, niederzumähen und dadurch im Angstklischee zu bestätigen.»

    Michel Abdollahi: Herkunft: Euer Ernst? 31.05.2017

    Ich erlaube mir, zu widersprechen. Es ist nicht das erste Mal, dass wir über (Alltags-)Rassismus in Deutschland sprechen. Nur, allein das Wort „Rassismus“ in den Mund zu nehmen, erzeugt bereits eine Blockade beim biodeutschen Gegenüber. Reflexion über den eigenen Rassismus? Erlebe ich nur bei Menschen, die sich dann tatsächlich mal mit Rassismus auseinandersetzen, Bücher zum Thema lesen und dann zwangsläufig zur Einsicht kommen, dass kein Mensch frei von Vorurteilen und Stereotypen ist, weil niemand in einer rassismusfreien Welt aufwächst. Wir können nur versuchen, auf unsere Worte zu achten und die Wirkung auf andere zu respektieren.

    Nur, wie oft müssen wir noch erklären, wann und warum diese Frage „Woher kommst du wirklich her?“ rassistisch ist?
    Und wann fangen wir an, über die eigentliche Frage zu reden, die immer unausgesprochen im Hintergrund schwebt?
    Biodeutsche kommen überhaupt nicht auf die Idee, dass eine Einwanderungsgesellschaft auch von ihnen fordert, sich an diese Einwanderungsgesellschaft anzupassen, sich in ein neues Deutschland und in ein weiter entwickeltes Verständnis vom „deutschen Volk“ zu integrieren.

    Und ja, ich finde es toll, wenn wir ins Gespräch kommen. Nur, wer sich aufrichtig mit der Problematik der Herkunftsfrage beschäftigen will, der muss auch bereit sein, seine Haltung, die hinter dieser Frage steckt, zu reflektieren, so schmerzhaft das auch sein mag. Er muss mir glaubhaft machen können, dass er mich nach meiner Herkunft fragt, weil er mich als Deutschen UND als Koreaner sieht und nicht nur als Koreaner, aber nicht als Deutschen.

    «Andersherum pauschalisieren aber auch wir, wenn wir jedem, der nach unserer Herkunft fragt, fremdenfeindliche Motive unterstellen, statt schlichte Neugier wenigstens in Betracht zu ziehen. Es mangelt in diesem Land sicher nicht an Rassisten. Aber wir sollten die richtigen bekämpfen.»

    Hier liegt nach meinem Verständnis ein Missverständnis vor: Ich unterstelle niemanden ein fremdenfeindliches Motiv, denn das würde für mich bedeuten, die Person, die mich nach meiner Herkunft fragt, mache dies im vollen Bewusstsein, mich als Deutschen auszugrenzen – und sei mir feindlich gesinnt. Tatsächlich denke ich, den meisten ist gar nicht bewusst, was sie tun. Der Fragesteller ist in meinen Augen nicht automatisch ein Rassist. Gerade hier müssen wir differenzieren, weil wir sonst nicht mehr über ungewollten Alltagsrassismus reden könnten und wir tatsächlich allen unterstellen müssten, sie seien Rassisten.

    Um einen krassen Vergleich zu machen: Ein Autofahrer kann aus Unachtsamkeit einen Fußgänger überfahren und damit töten. Er ist damit aber kein Mörder, weil er es nicht absichtlich getan hat. Dennoch liegt hier ein Tötungsfall vor, für den er sich verantworten muss. Nur, weil es sich nicht um einen Mord handelt, heißt das aber nicht, dass dieser Tötungsfall keine Konsequenzen nach sich zieht.
    Genauso ist es mit rassistischem (und jedem anderen diskriminierenden) Verhalten: Ich kann es ungewollt und sogar unbewusst tun, also kein Rassist sein, muss mich aber dennoch für mein Verhalten verantworten. Unwissenheit darf keine Ausrede für Verantwortungslosigkeit sein.

    «Bizarrerweise ist übrigens niemand auf die Idee gekommen, uns, die Schöpfer dieses Veranstaltungsplakates, mal zu fragen, was wir damit eigentlich sagen wollten. Die Frage war nämlich gar nicht für Biodeutsche gedacht, wir haben sie nicht an Menschen wie Henning Sußebach gerichtet. Wir wollten von den Migranten wissen: „Sag mal, Migrant, wo kommst du eigentlich her? Kommst du jetzt aus Deutschland oder aus der Türkei? Folgst du dem Grundgesetz oder Präsident Erdoğan?“

    […] Wir wollten ein Zeichen für die Integration setzen, […] um uns nicht irgendwann selbst vorwerfen zu müssen, tatenlos zugeschaut zu haben, wie sich Menschen radikalisieren und von Deutschland abwenden. Henning Sußebach schrieb, vielleicht seien gerade diese Menschen zu selten gefragt worden, woher sie eigentlich kommen. Wahrscheinlich hat er damit recht.»

    Vielleicht wurden sie aber auch zu oft gefragt und ihnen dabei zu oft vermittelt, dass sie keine Deutsche, sondern Türken seien. Auch ich beobachte bei mir und in meinem Umfeld zunehmende Tendenzen, die migrantische Parallelgesellschaft als Zufluchtsort vor dem tabuisierten Alltagsrassismus der deutschen Gesellschaft zu betrachten. Insofern hat mich das Verhalten der hier in Deutschland lebenden türkeistämmigen Menschen nicht überrascht, sondern eher in meinen Annahmen bestärkt.

    Und sorry, jede türkeistämmige Person, mit der ich gesprochen habe, war zwar über das Wahlverhalten enttäuscht oder sauer. Es hat aber niemanden überrascht. Niemanden.
    Warum wohl?

    Veröffentlicht von Daniel Sanghoon

    Hi, ich bin Daniel Sanghoon Lee. Hier schreibe ich auf, was mich als Koreaner der zweiten Generation beschäftigt. Die Kommentarfunktion ist bis auf weiteres abgeschaltet (Stichwort DSGVO).