Ich bin sauer.
Die USA kündigen an, neue, kleinere Atomwaffen entwickeln zu wollen – und die mediale Aufregung hält sich – soweit ich sehen kann – in Grenzen. Keine Kommentare über „mörderische Waffen“, keine Androhung von Wirtschaftssanktionen, keine Einberufung des Weltsicherheitsrates.
Ist die Ankündigung von neuen Atomwaffen, die diesmal so klein sind, dass sie auch endlich mal eingesetzt werden können, etwa keine neue Bedrohung der Welt?
Offenbar nicht.
Zumindest nicht für die sogenannte westliche, mehrheitlich von Weißen Menschen bevölkerte Welt.
Die Ankündigung der USA, neue, kleinere Atomwaffen zu entwickeln, die sie tatsächlich auch einsetzen können als die großen Bomben, deren Vernichtungskraft dann vielleicht doch eine Spur zu groß wäre, ist dabei nicht wirklich neu.
«So forschten z. B. die USA unter George W. Bush an kleineren, zielgenaueren Kernwaffen, sogenannten Mini-Nukes und Bunkerbrechern, die tatsächlich eingesetzt hätten werden können und so die Grenze zwischen konventionellen und nuklearen Waffen hätten verschwimmen lassen.»
Quelle: Wikipedia: Atomwaffensperrvertrag, abgerufen am 06.02.2018
Nun will sich Donald Trump als großer Führer beweisen und die USA wieder „groß“ machen. Dazu gehört offenbar auch, endlich wieder mal Atomwaffen einsetzen zu können. Zur Erinnerung: die USA sind das bislang einzige Land der Welt, dass sich getraut hat, Atomwaffen einzusetzen. Und da damals schon der Abwurf der Atomwaffen keine Sanktionen für die USA zur Folge hatte (war ja schließlich Krieg), stellt sich nun die Frage, was denn passieren soll, sollten die USA erneut Atomwaffen einsetzen.
Ernsthaft: Wer will und kann denn schon die USA sanktionieren?
Die Pläne der USA und die kaum vernehmbare Kritik anderer Staaten unterstreichen noch mal, dass wir in einer Welt voller Ungleichheit leben, in der am Ende dann doch der Stärkere gewinnt.
Ich meine, wir reden uns ja gerne ein, dass alle Menschen auf der Welt von gleicher Würde seien.
Dabei belehrt uns die Geschichte eines Besseren: Spätestens seit der Weiße Mann sich aufmachte, die Welt zu erobern, existiert in seinem Kopf die Vorstellung, der große Weiße Mann müsse die ungebildeten Wilden zivilisieren.
Und auch Korea ist davon betroffen:
«Im November 1943 trafen sich Roosevelt, Churchill und Tschiang Kai-schek in Kairo. Japan sollte alle Gebiete verlieren, die es mit Gewalt erobert hatte. Nach der Konferenz wurde eine Deklaration veröffentlicht, und Korea fand zum ersten Mal Erwähnung mit folgendem Wortlaut: ‹Die oben genannten drei grossen Mächte sind, eingedenk der Unterjochung des koreanischen Volkes, entschlossen, dass Korea zu gegebener Zeit (in due course) frei und unabhängig werden soll.› […] Sofort wurden die Koreaner auf die drei kleinen Wörter ‹in due course› aufmerksam und konnten nicht verstehen, warum Korea nach dem Kriegsende nicht sofort unabhängig werden sollte. Massgeblich für die Formulierung war der amerikanische Präsident Roosevelt, der von der Idee beseelt war, die asiatischen Länder müssten erst noch erzogen werden. Korea sollte daher bis zur ‹Mündigkeit› unter die Treuhandverwaltung der Grossmächte gestellt werden. Diese Idee erwies sich später als eines der Haupthindernisse auf dem Weg zur Unabhängigkeit Koreas. Noch auf der Teheraner Konferenz (26. November bis 3. Dezember 1943) veranschlagte Roosevelt gegenüber Stalin die ‹Lehrzeit› Koreas auf 40 Jahre.»
Quelle: Die Chance, die es nicht geben durfte, NZZ online, 20.09.2003, abgerufen am 06.02.2018
Danke, Mr. President, für diesen wundervollen Plan, die Koreaner „erziehen“ zu wollen. Das hatten diese kleinen Koreaner aber auch bitter nötig!
«Spätestens am 7. September [1945, Ergänzung von mir] realisierten die Koreaner, dass die USA anderes im Sinn hatten. An diesem Tag verkündete MacArthur Folgendes dem koreanischen Volk: ‹Alle Regierungsgewalt über das koreanische Territorium südlich des 38. Breitengrades und dessen Bevölkerung wird einstweilen unter meinem Befehl ausgeübt.› Weiter wurde bekannt gemacht, jeder Widerstand gegen die Besatzungsmacht werde strengstens geahndet und für alle Zwecke der militärischen Kontrolle sei Englisch die offizielle Sprache. Damit hatte Amerika das koreanische Volk offen entmündigt.»
Quelle: Die Chance, die es nicht geben durfte, NZZ online, 20.09.2003, abgerufen am 06.02.2018
Danke, Mr. President, für die Teilung Koreas.
Danke für diese Lektion in Sachen Demokratie und Freiheit.
Und heute?
«Und kurz vor der Rede auf dem Kapitol hatte die Regierung die Nominierung von Victor Cha zum neuen Botschafter in Südkorea zurückgezogen. Der gebürtige Südkoreaner, Professor für Asienstudien an der Georgetown University, galt bislang als beinharter Hardliner. Doch die verhängnisvolle Absicht der Trump-Regierung, sich „alle Optionen“ offenzuhalten, auch die einer militärischen Aktion, entsetzte ihn. „Der Einsatz militärischer Gewalt wird notwendig sein, um mit Nordkorea fertigzuwerden, wenn es zuerst angreift, nicht jedoch ein Präventivschlag, der einen Atomkrieg auslösen könnte.“
Cha hält es nur für logisch, dass Kim einen solchen Angriff den Amerikanern mit gleicher Münze heimzahlen würde. Das Argument, Tote „dort drüben“ wären besser als Tote im US-Heimatland, weist er empört zurück.»
Mr. President, natürlich sind tote Koreaner besser als tote US-Amerikaner. Hören Sie bloß nicht auf diesen Victor Cha!
«Wir wissen nicht, ob sich Kim Jong Un darauf einlassen würde, den Ausbau seines Arsenals zu begrenzen, er betrachtet es als seine Lebensversicherung. Vor allem aber steht sehr dahin, dass Trump und seine Berater zum Einlenken bereit wären. Sie halten den nordkoreanischen Diktator nicht für einen rationalen Akteur.»
Kinder und Rationalität? Sowas können wir ja nun wirklich nicht erwarten.
Westliche Medien halten immer noch gern das Bild von Nordkorea als das „mysteriöse, rätselhafte Reich des Bösen“ lebendig.
Natürlich ist (Nord)Korea rätselhaft anders, wenn sich Journalisten nicht die Mühe machen, sich mit koreanischer Geschichte, Politik, Kultur und Mentalität auseinanderzusetzen. Das Beherrschen der koreanischen Sprache wäre auch von großem Vorteil fürs Verständnis. Gerade wir in Deutschland wissen aus den ganzen Integrationsdebatten, dass sich eine Kultur am Besten durch die Sprache erschließen lässt.
Dass die UN Sanktionen gegen Nordkorea beschließen wegen dem nordkoreanischen Atomwaffenprogramm, kann ich verstehen (auch wenn ich sie für falsch halte).
Dass allein nur Nordkorea wegen seines Atomwaffenprogramms sanktioniert wird (der Iran hat sein Programm ja nun offiziell aufgegeben), verstehe ich nicht.
Ich halte Atomwaffen für grundsätzlich falsch. Dabei ist mir egal, ob eine Diktatur oder eine Demokratie über Atomwaffen verfügt. Atomwaffen sind Menschenvernichtungswaffen.
Inzwischen haben neben den fünf offiziellen Atommächten USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China auch Israel, Indien und Pakistan Atomwaffen. Und was waren die Konsequenzen?
Es gab und gibt keine.
Soweit ich weiß.
Nur für Nordkorea (und den Iran).
Warum?
Weil Nordkorea eine Diktatur ist (im Gegensatz zu Russland, China und Pakistan)?
Warum sprechen wir nie über die anderen Länder mit Atomwaffen?
Alle Atomwaffenländer behaupten, sie besäßen ihre Menschenvernichtungswaffen allein zur Abschreckung. Auch Nordkorea. Und außer auf einen Angriff der USA zu reagieren gibt es auch keinen rationalen Grund für Nordkorea, Atomwaffen einzusetzen. Denn was hätten sie davon? Auch die nordkoreanische Führung weiß, einen Krieg gegen die USA können sie nicht gewinnen, sie können nur maximal möglichen Schaden anrichten. Zu genau dieser Erkenntnis kommt, wer sich nüchtern mit (Nord)Korea auseinandersetzt.
Deshalb glaube ich den Nordkoreanern, dass sie glauben, sie hätten Atomwaffen als ein Mittel der Abschreckung nötig (auch wenn ich das für falsch halte). Das ist die Doktrin des Kalten Krieges (den Nordkorea nie verlassen hat), das ist die Rechtfertigung der USA und Russland, warum sie selbst noch Tausende(!) von Atomwaffen besitzen.
Keines dieser Länder wollte bislang derartige Waffen ernsthaft einsetzen.
Jetzt kündigen die USA an, neue, kleinere Atomwaffen zu entwickeln, weil sie diese dann auch endlich wieder einsetzen können. Und aufgrund der Geschichte traue ich den USA zu, dass sie Ernst machen und tatsächlich wieder Atomwaffen einsetzen.
Dabei hilft den USA die ständige Darstellung der Nordkoreaner als rätselhaft, unverständlich, gesichtslos, nicht zu einer eigenen Meinung fähig, weil einer ständigen Gehirnwäsche unterzogen, und der nordkoreanischen Führung als bizarr, unberechenbar und skrupellos. Dadurch wird (Nord)Korea wieder entmündigt und nicht wirklich ernst genommen, so dass das „irrationale“ Nordkorea viel gefährlicher wirkt als die „rationalen“ USA mit einem Präsidenten Donald Trump. Denn wenn ich oben schreibe, dass Nordkorea keinen rationalen Grund hätte, Atomwaffen einzusetzen, außer auf einen Angriff der USA zu reagieren, ist es ja gut zu wissen, dass die Nordkoreaner bzw. ihre Führung irrationale Irre sind. Und daher den Nordkoreanern alles zuzutrauen sei. Und am Ende glauben die USA ihrer eigenen Propaganda mehr als ihren eigenen Experten von der CIA.
Die Vorstellung von den „wilden“, unberechenbaren Nordkoreanern gibt dem Westen die Berechtigung für Sanktionen und eine Militärpräsenz in Südkorea und befreit uns moralisch von jeglicher Schuld, sollten der Westen einmal „gezwungen sein“, Krieg gegen Nordkorea zu führen.
Und damit wirkt selbst die Ankündigung der USA, neue, einsetzbare Atomwaffen zu entwickeln (etwas, wofür wir Nordkorea fürchten und verdammen würden), angesichts der monströsen Gefahr aus Nordkorea nachvollziehbar und begründet.
Wenn wir allein die Anzahl der bewaffneten Konflikte und Kriege, in denen die USA und Nordkorea in den letzten 50 Jahren verwickelt waren, aufzählen, dann sagt mir die Geschichte, dass die USA das kriegerischere und gefährlichere Land sind als Nordkorea.
Die Propaganda sagt uns genau das Gegenteil.
Wer wird sich also den USA entgegenstellen, wenn sie wieder Atomwaffen einsetzen?
Denn alle Länder und Menschen mögen gleich sein.
Aber die USA (und andere „westliche“ Länder, die zufälligerweise fast alle auch ehemalige Kolonialherren sind) sind im Moment gleicher.
Damit der Artikel nicht nur destruktiv ist, hier ein paar Lösungsvorschläge:
- Ein Friedensvertrag zwischen Nordkorea und den USA: Krieg darf keine Rechtfertigung sein für einen Atomwaffeneinsatz. Und de facto befinden sich Nordkorea und die USA noch im Krieg.
- Abschaffung und Ächtung aller(!!!) Atomwaffen: Atomwaffen sind keine Massenvernichtungswaffen, sondern Menschenvernichtungswaffen. Sie dienen dazu, so viele Menschen wie möglich zu töten. Alle Atomwaffen sind eine Gefahr für die Welt (es gibt Moment wohl noch insgesamt über 14.000 Atomraketen! Wie oft wollen wir denn unseren Planeten in die Luft jagen?). Kein Land der Welt sollte über so viel Macht verfügen.
- Frieden kann nur mit Verständigung und Geduld erzielt werden.
- Und: liebe Welt, schaut auf Deutschland: Wie sind die früheren Bundesregierungen damals mit der Diktatur in der DDR umgegangen? Mit Wirtschaftssanktionen, mit Militärmanövern, mit Kontaktsperren für die Bundesbürger? Nein. Sondern mit Dialogbereitschaft. Stichwort: Ständige Vertretung.
- Dazu ein Zitat von Egon Bahr: «Bisher hatten wir keine Beziehungen, jetzt werden wir schlechte haben, das ist der Fortschritt.»
Quelle: Ständige Vertretungen in der DDR „…im Grunde waren es natürlich Botschaften“, mdr, 12.11.2009, abgerufen am 08.02.2018 - Und ein Zitat von Karl Seidel, dem ehemaligen Leiter der Abteilung BRD beim ZK der SED: «Auf dem Grundlagenvertrag baute alles auf. Im Grunde war es der Ausgangspunkt für die Normalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen.»
Quelle: Ständige Vertretungen in der DDR „…im Grunde waren es natürlich Botschaften“, mdr, 12.11.2009, abgerufen am 08.02.2018
Wenn das mit der Normalisierung der Beziehungen der zwei Hälften eines geteilten Landes schon einmal geklappt hat, warum dann nicht noch ein zweites Mal?
Etwa, weil die Nordkoreaner „unreife Kinder“ seien, die noch erzogen werden müssten?
P.S. Eine, wie ich finde, sehr gute Dokumentation über Nordkorea und ihre Beziehung zu den USA könnt ihr im Moment auf ARTE sehen: Die Kim Dynastie (online verfügbar bis zum 07.05.2018)
*Die Überschrift ist, wie ihr vielleicht schon bemerkt habt, eine Abwandlung aus dem Buch „Animal Farm“ (Farm der Tiere) von George Orwell: «All animals are equal, but some are more equal than others.»
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