Wenn Diktaturen und Diktatoren fallen, freuen sich gerade Menschen im Westen, dass in diesen Ländern nun Demokratie Einzug hält. Und wundern sich, wenn die Zeit nach der Diktatur doch in Chaos oder Bürgerkrieg mündet. Dabei vergessen Menschen hierzulande, dass Demokratie kein Selbstläufer ist, sondern von den Menschen erst begriffen, erlernt und vor allem erlebt werden muss. Denn das Nichtvorhandensein von Diktatur ist nicht gleich automatisch Demokratie.
Kamuran Sezer, Gründer und Leiter des Futureorg Instituts für angewandte Zukunfts- und Organisationsforschung, schreibt auf Facebook zum Artikel „Politischer Islam. Sind die Frommen die Dummen?“ auf ZEIT online vom 03.08.2013 vom Chauvinismus von vermeintlich westlich-orientierten, demokratischen und aufgeklärten politischen Eliten in Ägypten (und der Türkei).
Ich sehe den Chauvinismus bei all denen, die die Demokratie für sich als überlegene Herrschaftsform bezeichnen, unabhängig von der kulturellen Identität eines Volkes.
In Europa hatte Demokratie Jahrhunderte Zeit, sich zu entwickeln. Seit der französischen Revolution hatte die Demokratie auch empfindliche Niederlagen einzustecken. Zuletzt den Aufstieg von Hitler mit den bekannten Folgen.
„Das Richtige hat mit den Grenzen der Demokratie in kulturell und ideologisch zerklüfteten Gesellschaften zu tun.“
Es ist falsch zu glauben, Demokratie scheitert nur aufgrund der kulturellen und ideologischen Zerklüftung einer Gesellschaft. Alle asiatischen Länder, die konfuzianisch geprägt sind, haben ein Problem mit Demokratie. Beispiel Südkorea. Loyalität und Gehorsam sind zwei zentrale Werte in einer solchen Gesellschaft, nicht eigen- und selbständiges Denken. Unter Umständen hat die Gruppe Vorrang vor der individuellen Freiheit.
Menschen wählen ihren politischen Kandidaten nach der gemeinsamen Herkunft („ich wähle den Kandidaten, weil er aus der selben Provinz stammt wie ich“). Oder Beamte wählen die Regierungspartei, weil sie für den Staat arbeiten.
DAS hat mit einem westlichen Demokratie-Verständnis nichts zu tun. In der koreanischen Kultur (egal, ob Nord oder Süd) sind noch so viele Verhaltenszwänge enthalten, dass sich Demokratie nach westlichem Verständnis nicht frei entfalten kann. Weil Demokratie nicht natürlich gewachsen ist, wirken westliche Demokratiemaßstäbe immer noch wie unnatürliche Fremdkörper. Sie werden (un)bewusst abgelehnt und nicht verstanden.
Politische(!) Bildung kann einiges ändern, aber noch wichtiger ist die gelebte und erlebte Praxis. Wer „richtige“ Demokratie nie am eigenen Leib erfahren hat, wird auch nur schwer verstehen, was daran toll sein soll.
Dass Demokratie aber auch in westlichen Ländern kein Selbstläufer ist, lässt sich an der stetig sinkenden Wahlbeteiligung z. B. in Deutschland ablesen. Auch hier muss Demokratie erlernt, gepflegt und gelebt werden.
Und wenn die Kultur eines Volkes im ersten Moment nicht mit einer Demokratie im westlichen Verständnis kompatibel ist, muss dieses Volk ihre eigene Form der Demokratie finden. Das Volk muss dann die Gelegenheit haben, Demokratie zu erlernen und vor allem zu erleben.
Die alte Kultur wie z. B. der Konfuzianismus darf kein verpflichtender Imperativ sein, sondern muss einer Freiwilligkeit weichen, die dem Freiheitsgedanken der Demokratie entspricht. Für ein islamisches Land wäre das aus meiner Sicht beispielsweise die Abschaffung eines Kopftuchgebots, aber die individuelle Freiheit, sich freiwillig für ein Kopftuch zu entscheiden.
Diesen Unterschied müssen Menschen aber erst begreifen, lernen und leben, ehe Demokratie wirklich so funktioniert, wie wir uns das in Deutschland vorstellen. Und so gesehen haben aus meiner Sicht weder die gebildeten noch die ungebildeten Schichten in Ägypten verstanden, was Demokratie ausmacht.
1 Kommentar